Ursula Palla – «AFTERGLOW»
09.11.2022 – 18.02.2023
Es ist die einzigartige Vielfalt, unglaubliche Feinheit und überraschende Stärke der Natur, mit welchen Ursula Palla in ihren Werken Bilder und Räume von bezaubernder Ästhetik und tief- greifender Poesie schafft. Gleichwohl reizen ihre Kreationen und Installationen diese, natur- gegebene Schönheit bis zum Kippmoment aus, wo aus Vielfalt Angst vor Verlust, aus Fein- heit gewagte Fragilität und aus Stärke unaufhaltsame Wucht wird. So thematisiert Ur- sula Palla mit wachsamem Blick für aktuelle Dringlichkeiten die komplexe Beziehung des Menschen zur Natur und verweist auf damit einhergehende, grundlegende Umweltproblema- tiken. Über den künstlerischen Zugang sucht sie nach bildsprachlichen Übersetzungen der Inhalte, um diese in ihren Werken auf ästhetischer Ebene anzusprechen.
Das mit dem Ausstellungstitel gehende Werk «afterglow» zeigt Videoaufnahmen beeindru- ckender Lavaströme, die als Projektion in sich organisch wandelnden Formen über leicht ein- gedrückte Glaskugeln fliessen. Die Kombination von Video mit raumgreifenden Installations- elementen steht für Ursula Pallas Werk, genauso wie das Erproben unterschiedlicher Verfah- ren und Materialien, anhand derer sie die Bildinhalte aufgreift und verdeutlicht. Die Arbeit mit Glas bildet eine für die Künstlerin neue Technik, welche unter präzisen Berücksichtigung von Zeit und Temperatur mit einem komplexen Herstellungsprozess einhergeht. Die handwerkli- che Herausforderung überträgt sich in dynamischer Weise auf das Spannungsfeld zwischen dem empfindlichen Material und naturgewaltigen Motiv.
Auch in «Cloud» arbeitet Ursula Palla mit Glaselementen, welche sie als Wolkengebilde zu- sammenfügt. Die Arbeit verbindet Vergangenes mit Aktuellem, indem technisch auf die euro- päische Tradition der Glaskunst verwiesen und zugleich mit Titel und Material eine Anspielung auf das Glasfasernetz gemacht wird. Durch den Austausch von Daten ermöglichen die digita- len Wolkengebilde Zusammenarbeit und die Entwicklung neuer Methoden, wodurch sie gleich der natürlichen, wassertransportierenden Wolke zu etwas Lebensspendenden werden. So spricht Ursula Palla mit «Cloud» von den Chancen und Möglichkeiten, auf die der MenschdurchWissenschaft und Erfindungenzurückgreifen kann;erinnertjedoch auchan den eigenverantwortlichen Umgang mit jenen Möglichkeiten, indem sich Betrachtende räum- lich direkt mit den ansonsten kaum fassbaren Wolken konfrontiert sehen.
In Arbeiten wie «The Silent Spring» oder «Kraut Unkraut» verdeutlicht Ursula Palla die Ver- antwortung gegenüber Pflanzen- und Tierwelt, indem sie sich auf Missstände menschlichen Eingreifens bezieht. «The Silent Spring» bildet eine Hommage an die Wissenschaftlerin Ra- chel Carson (1907-1964), welche mit ihrer Publikation 1962 erstmals die schädlichen Auswir- kungen von Pestiziden thematisierte und damit eine Debatte anstiess, die bis heute nicht an Aktualität verlor. In Ursula Pallas Installation scheint die Ansammlung flügelloser Vögel mit minimalistisch ausgeführter und doch individuell charakterisierender Körperhaltung stumm, fragend und leicht vorwurfsvoll den Ausgang dieser Debatte abzuwarten. Ihr farbloser Zustand ungebrannten Tons verweist genau wie die dunkel patinierte Bronze bei «Kraut Un- kraut» auf das Schwinden von Artenvielfalt in der Natur und hält diese zugleich als Skulptur in einem Material fest, welches die Zeit überdauert.
Das Schwinden der Natur thematisiert auch die zweiteilige Installation «Displaced Herbarium», in welcher sich Ursula Palla der Rekonstruktion ausgestorbener Pflanzenarten widmete. «Lost Colors» imitiert deren Blütenfarben und präsentiert diese in blumenwiesengleicher Anordnung auf Bildschirmen. Mit je einem Monitor pro Pflanze, verdeutlichen Grösse, Format und Se- quenz der erscheinenden Farbflächen Vielfalt und Unterschiedlichkeit der nunmehr digital existierenden Blüten.
Gewächsform und Wuchsrichtung hält «Botanical Fragments» über 3D-Prints als skulpturales Herbarium in Bronzegüssen fest. Die Arbeit, welche sich in wissenschaftlicher Gründlichkeit an der Recherche vorgefundener Abbildungen und Beschreibungen orientiert, ist zugleich be- stimmt durch die Imagination der Künstlerin. Ursula Palla greift in ihrem künstlerischen Han- deln Geschichtsfragmente auf und öffnet zugleich die übrigbleibenden Leerstellen der Fiktion.
Im Abwarten und Hinterfragen zur Entwicklung künftiger Geschichten stehen Ursula Pallas Werke jedoch keineswegs still. Im Gegenteil sind sie bestimmt durch die Kontinuität und Trans- formation ihrer Motive. Mit «Fire Weed» kreiert sie ein ausdrucksstarkes Bild des Wandels von Zerstörung zur Prosperität. Die Arbeit bindet über einen komplexen Schmelzprozess Waffen in Bronze ein und giesst diese in die Form eines hochaufragenden, feinblättrigen Weidenrös- chens. Aus Waffe wird Blume – ein durch die Nelkenrevolution von 1974 oder Flower-Power- Bewegung der 1960er Jahren historisch geprägtes Symbol der Waffenniederlegung. Die Wandlung der formalen und symbolischen Gegensätze wird schliesslich vom Motiv selbst auf- gegriffen: Das Weidenröschen, auch als «Fireweed» (Feuerkraut) oder «Trümmerblume» be- kannt, wächst vorläufig auf Kahlschlägen oder nach Waldbränden und erschien in Deutschland auf den zerbombten Schuttflächen des zweiten Weltkrieges.
In der Ausstellung «AFTERGLOW» bringt Ursula Palla Werke zusammen, die Geschichten menschlicher Spuren in seiner Umwelt erzählen und im beschreibenden Zustand dessen, was übrigbleibt, den Blick nach vorne öffnen. Im Zusammenspiel von Material und Bild, räumlichen und zeitlichen Dimensionen schafft sie Rekonstruktionen und Verweise auf zu vergessen dro- hende Miss- und Umstände. Es ist dies jedoch kein verzweifeltes Festklammern an aussichts- losen Schicksalen, sondern vielmehr eine (sich auch in der bezaubernden Ästhetik ihrer Motive wiederspiegelnde) konstruktiv-optimistische Haltung basierend auf den Handlungsmöglichkei- ten des Menschen, wie auch der selbstheilenden Kraft der Natur.
«AFTERGLOW» ist in diesem Sinne ein würdigendes Aufglühen dessen, was ist, und hoff- nungsvolles Aufschimmern dessen, was sein kann.
Lena Stockmeyer, Oktober 2022